Interview mit Karin Tischer: “Ausnahme-Situation mit totaler Entschleunigung”
Durch die Corona-Pandemie ist die Welt auf den Kopf gestellt, Gastronomie, Hotellerie und deren Zulieferanten dramatisch und teils existenzbedrohend betroffen. Je nachdem, wie lange die Krise noch anhält, wird es entsprechenden Einfluss auf die Branche haben und das Verbraucherverhalten mehr oder weniger stark verändern. Zum einen sind bereits jetzt deutliche Veränderungen im Konsumverhalten der Verbraucher zu verzeichnen. Zum anderen sind ernährungsbedingte Veränderungen und Trends kontinuierlich da und auch nach der Krise aufzugreifen.
snackconnection hat die Trendforscherin Karin Tischer zu den wichtigsten Entwicklungen vor und nach Eintreten der Corona-Krise befragt. Sie prognostiziert die langfristigen Trends, die voraussichtlich auch nach der Coronakrise noch Bestand haben werden.
snackconnection: Frau Tischer, welche Veränderungen in den Konsumtrends ergeben sich ihrer Meinung nach durch die Corona-Krise?
Karin Tischer: “Insbesondere jetzt sind vier Bewegungen stark erkennbar, zum einen der Megatrend „Gesundheit“ mit einem höheren Bedürfnis nach gesunden und frischen, gesundheitsfördernden Produkten. Nachhaltigkeit und Back2nature, der Wunsch des Verbrauchers ein Stückchen mehr zurück zur Natur, zeigt sich an dem stärkeren Fokus auf lokale und regionale Produkte und Anbieter sowie bei vertical farming. Zum anderen ein höheres Bedürfnis nach Comfort Food, in dieser ungewissen und besonderen Zeit; Ankerpunkte, die uns ein Stück Normalität zurückgeben.
Wir erleben derzeit eine absolute Ausnahmesituation mit totaler Entschleunigung bzw. Veränderung bei gleichzeitiger Entwicklung im rasanten Zeitraffer. Je nachdem, wie lange die Corona-Pandemie andauern und wie viel Schaden sie anrichten wird, in jeder Hinsicht, werden die Auswirkungen unterschiedlich sein. Durch die rapide angestiegene Zahl der Menschen, die zu Hause bleiben (Home office, geschlossene Kitas und Schulen, etc.) wird zu Hause wieder mehr gekocht und das Thema Kochen erfährt eine neue Aufmerksamkeit sowie Wertschätzung. Außerdem hat durch die starken Einschränkungen im foodservice-Bereich und der Gastronomie der Delivery-Bereich stark zugenommen. Gleichzeitig freuen sich die Menschen darauf, wenn sie das vielfältige, internationale, gastronomische Angebot wieder erleben dürfen und auch alles, was dies mit sich bringt, vor allem die Geselligkeit, das Zusammensein mit Familie, Freunden und anderen Gästen, aber auch die Tatsache, dann nicht mehr selbst kochen zu müssen.
In wie weit haben sich die Wünsche der Konsumenten verändert und was bedeutet das für Gastronomen?
Karin Tischer: “Beim Thema Snacking ist ein Wandel der Gewohnheiten zu erkennen, es wird immer flexibler, mobiler und individueller. Ein paar wichtige Trends beim Snacking sind Street Food und Street Food Transfer. Diese Bewegungen ermöglichen uns das kulinarische Erleben verschiedener Weltküchen ohne weit zu reisen. Auch wird Convenience nicht nur für den Gast, sondern auch für den Gastronomen gerade durch den Fachkräftemangel immer wichtiger, um eine Verpflegung überhaupt realisieren zu können. Außerdem ist Frische nach wie vor ein Megatrend, der auf viele Bereiche Einfluss nimmt.”
Wir sprechen als Trendforscher von der sogenannten „pseudogesunden Ernährungsweise der Verbraucher.
Das heißt auf der einen Seite war er noch nie so aufgeklärt wie heute, wie er sich eigentlich ernähren müsste und auf der anderen Seite hat er keine Lust, sich immer konsequent daran zu halten. Oft entsteht beim Verbraucher so eine eigene Wahrheit: „ Ja, ich esse etwas weniger Fleisch und wenn, dann mehr Geflügel. Und wenn ich mal ungesund gegessen habe, esse ich einen Salat und trinke einen Joghurtdrink, und die Welt ist wieder in Ordnung.“ Der Verbraucher steckt in einem Dilemma. Er weiß, dass er sich nicht immer optimal ernährt, hat deshalb ein latent schlechtes Gewissen und daraus entwickelt er ein ganz starkes Bedürfnis nach Frische.
Es gibt drei Platzhalter und Alibi-Träger für dieses Thema: Salate, Früchte und gesunde Säfte bzw. Smoothies. Jeder Gastronom ist gut beraten mit diesen Themen zu spielen.
Ein weiteres Beispiel, wie dieses Thema gespielt werden kann ist im Bereich der süßen Backwaren. Es gab noch nie so viele Produkte mit Früchten. Sehr viele Verbraucher lieben die Früchte wegen Frische, Leichtigkeit und vitaminreichem Nebeneffekt. Bei pikanten Snacks wird darauf geachtet, dass auch frische Elemente vorhanden sind, vor allem bei den weiblichen Verbrauchern, z.B. ein paar Salatkomponenten, die für Saftigkeit und gleichzeitig frischen Biss sorgen.”
Wie sieht es mit bewusstem Konsum aus?
Katrin Tischer: “Insgesamt denkt der Gast nachhaltiger und das geht durch alle Zielgruppen, aber die junge Zielgruppe ist besonders sensibilisiert, das wird an der Fridays for Future Bewegung deutlich. Eine Ausprägung bei der jungen Generation sind Energy-Snacks.
Charakteristisch sind dafür Produkte aus einer reduzierten sauberen Zutatenliste mit 4-5 Komponenten und gar keinem Zucker. Es gibt z.B. in vielen Kaffeebars und Snackkonzepten Energy-Balls, in denen dann statt Zucker mit getrockneten Früchten, wie z.B. Datteln gesüßt und mit Kokos ummantelt wird. Beliebt sind auch Proteinsnacks, von Proteinriegeln bis hin zu Bowls, in allen Facetten. Mir fällt hier z.B. Pret a Manger ein, als eine der erfolgreichsten Bakery Chains der Welt. Die haben Protein-Bowls im Angebot mit Spinat, Ei und Lachs. Neben Protein-Bowls werden immer mehr fleischlose Angebote gesucht.”
Was sind die größten Entwicklungen?
Karin Tischer: “Es gibt viele! Ein großes Thema ist Casual Next Generation, welches sich groß entwickeln wird. Das bedeutet, dass der Verbraucher immer legerer wird und sich nicht in ein Korsett zwängen lassen möchte. Snacking passt perfekt in dieses Thema, da Verbraucher auch hier casual denken und ein Wandel der Gewohnheiten zu erkennen ist: es wird immer flexibler, mobiler und individueller.
Die Tatsache, dass der Handel immer gastronomischer wird und mit dem Einzelhandel ein starker Konkurrent heranwächst, haben manche Gastronomen noch nicht ausreichend verinnerlicht. Einige haben sich diesem Thema schon stark gestellt, andere zu wenig, es ist noch viel Luft nach oben. Gerade weil Supermärkte sehr gut organisiert sind mit Kühlketten und weiteren Geräten, ist es für sie gut umsetzbar, Snacks und kleinere Mahlzeiten in Kombination mit einer sehr großen Auswahl an Getränken und Knabberartikeln ein vielfältiges Angebot zu liefern.
Gerade in Metropolen in Deutschland ist das ein großes Thema, aber auch in anderen Ländern sieht man eine starke Entwicklung beim Thema Snacking im Einzelhandel.
Aber was den Supermärkten fehlt, kann als Gegenwind Chance für die Gastronomen sein, d.h. vor allem Leidenschaft, gastronomisches Herzblut, die emotionale Gastgeberrolle mit Nähe zu den Gästen, quirlige trendige Kreativität und Flexibilität sind wichtige Schlüsselfaktoren.”
Worin liegen die größten Chancen für den deutschen Markt?
Karin Tischer: “Der Verbraucher in Deutschland ist sehr offen und neugierig gegenüber den internationalen Küchen. Die Deutschen reisen rund um den Globus und möchten auch das Entdeckte zu Hause kulinarisch erleben. Insbesondere der Trend zum Snacking begünstigt dies, aber hier spielt Street Food und Street Food Transfer eine wichtige Rolle. Die Street Food Snacks kommen immer mehr in die Restaurants, werden sogar von der Sterneküche neu interpretiert und sind eine große Chance für die Gastronomen.
Die Mahlzeiten lösen sich vermehrt auf, und es wird situativ gesnackt.
Das bedeutet für die Gastronomen, die ein klassisches Angebot haben, mehr und mehr Snacks passend zum eigenen Konzept anzubieten; Street Food Konzepte können hier sehr unterstützen. Es geht dabei nicht nur um To Go, sondern auch immer mehr um Delivery. Im Rahmen der Digitalisierung, die eine große Chance für die Zukunft ist, sprechen wir von Food Service 4.0. Der Lieferservice ist ein starker Wachstumstreiber, gerade da die Gäste immer weniger kochen können und wollen. Es ist wichtig, dass Gastronomen das Liefergeschäft für sich professionell ausbauen, weil es immer stärker wird.
Es ist wichtig, dass Gastronomen das Liefergeschäft für sich professionell ausbauen, weil es immer stärker wird.”
Die Zukunft liegt in einer pflanzenorientierteren Ernährung, dem „Plantarismus“. Mit welchen Angeboten können Gastronomen bei den Konsumenten punkten?
Karin Tischer: “Wenn man sich die Zahlen insgesamt anschaut, sieht es wie folgt aus: Wir haben 1,6% Veganer, 8,9 % Vegetarier, 13 % Flexitarier und 11,5 % reduktionswillige Fleischesser. Das sind 35% der Bevölkerung, die ernährungsbedingt sensibilisiert sind. Das ist eine große Zahl, die ernst zu nehmen ist. Was ich jedem Gastronomen daher empfehle, ist passend zum Gastro-Konzept ein kleines oder größeres Angebot an veganen und vegetarischen Speisen zu führen. Zum einen wegen der Strahlkraft dieser Speisen auf das gesamte Konzept, zum anderen wegen einer größeren Zielgruppenansprache. Wenn sich beispielsweise eine Gruppe für eine Location entscheidet, ist der eine Veganer maßgeblich für die Auswahl, weil auch er dort etwas Passendes finden soll. Also egal, welches Konzept der Gastronom fährt, ist er gut damit beraten, ein veganes Angebot zu haben.”
In welchem Tageszeiten-Fenster besteht das größte Wachstumspotenzial und welche Gastronomie-Typen können davon am meisten profitieren?
Karin Tischer: “In Metropolen gibt es immer mehr Konzepte mit 24 Std. Frühstück.Derzeit ist das Thema Frühstück sehr interessant, da es zunehmend cooler und legerer wird. Auch das sogenannte 2. Frühstück wird immer beliebter, da viele morgens nicht frühstücken, weil sie es anstrengend finden oder Zeit sparen wollen. Gerade zur Mittagszeit ist der Snack ein großes Thema, da man zu der Zeit meist keine schweren Mahlzeiten zu sich nimmt, sondern nur etwas Kleineres snackt, um leistungsfähig zu bleiben. Die große Chance für viele Bäcker ist vielfach noch unerkannt, da sie immer noch Schwierigkeiten haben, ein wirklich attraktives Mittags-Angebot zu liefern. Da ist noch Luft nach oben. Auch in der Betriebsverpflegung sollten mehr Snacks angeboten werden. Dort gibt es Chancen, die meines Erachtens gar nicht genutzt werden, insbesondere bei warmen Snacks, die wertiger sind als kalte. Dazu braucht es allerdings entsprechende Geräte, wie z.B. High-Speed-Grills.”
Was macht einen erfolgreichen Snack in 2020 aus?
Karin Tischer: “Frische und optische Attraktivität, wie man es z. B. bei den Bowls sieht, die so schön und lecker angeordnet sind und gleichzeitig durch gesunde Frische punkten. Und eine angemessene nachhaltige Verpackung gehört dazu.”
Und zum Abschluss: Was ist Ihr persönlicher Lieblings-Snack?
Karin Tischer: “Mein Lieblingssnack ist und bleibt immer noch die saftige Zimt-Hefeteigschnecke. Aber in Singapur habe ich Bambussprossenspitzen mit Nuss-Sauce entdeckt, die schmecken grandios.”
Über Karin Tischer
Karin Tischer ist eine international anerkannte Food-Trend-forscherin und Inhaberin von food & more in Kaarst.
Derzeit agiert sie als Corona-Krisenmanagerin und unterstützt die Branche, online oder persönlich, mit Risikomanagement, Strategie-/ Innovations-Workshops, individuellen Beratungen, Webinaren sowie krisenspezifischem Coaching für Führungskräfte und Teams. Mit ihrem Team im Forschungs- und Entwicklungs-institut food & more entwickelt sie u. a. Konzepte, Ideen, Speise-karten, Aktionswochen, Rezepturen und Marketingmaßnahmen für Gastronomie, Industrie und Handel
Mehr zu food & more hier: www.food-and-more.de
FoodZoom 2020 – 5 Trends für den Außer-Haus-Markt
Ob casual Food-Konzepte, digitale Extra-Services für den Gast oder die Weiterentwicklung der Handels-Gastronomie: Die Zeichen im Außer-Haus-Markt stehen auf Veränderung. Die von der Internorga in Zusammenarbeit mit der Food-Trendforscherin Karin Tischer entwickelte Branchenuntersuchung FoodZoom gibt einen interessanten Überblick über aktuelle Trends, die den internationalen Markt heute und zukünftig bewegen.